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17 Sep 2020 - 12:07

Hilfe in Moria

Ein Tatsachenbericht von Helga Longin und Doro Blancke
Kind auf der Straße nach Brand von Moria

Das hier ist ein Tatsachenbericht nach dem verheerenden Brand im Flüchtlingslager Moria. Helga Longin und Doro Blancke haben kurzerhand die Koffer gepackt und sich der Hilfsorganisation "Home For All" angeschlossen, um den geflüchteten Menschen in Lesbos zu helfen, die das wenige was sie hatten durch den Brand auch noch verloren haben.

Vorweg die Bitte an alle, die können: bitte helft, dieses Leid zu verringern! 

Spenden bitte an das Konto von „unserBruckhilft“ Erste Bank Sparkasse Bruck

IBAN: AT30 2021 6216 9756 3700

Verwendungszweck Lesbos/ Moria

Die Spenden kommen direkt ohne Umwege sofort zu den Betroffenen. 1.000 Euro wurden bereits in bar an "Home For All" übergeben und 3.000,-- überwiesen. BItte helft weiterhin mit, DANKE!

1. Tag (15. September 2020)

Eigentlich sollten meine Tasche und ich jetzt gerade im Flieger nach WDH (Namibia) zu meiner Traumreise sitzen. Statt dessen wart ich auf den Flieger nach MJT (Mytlini/Lesbos).

The times they are a changing

2. Tag (16.September 2020)

17h in Lesbos, im Moment bin ich von meinen Gefühlen völlig erschlagen. So kann, so darf Europa nicht sein! Ich kannte die Bilder, ich habe die Berichte gesehen. Tausende Menschen, die hier im Dreck leben, so viele Frauen und unzählige Kinder. Wir haben die Schande Europas mit eigenen Augen gesehen!

Doro und ich haben heute bei „Home for all“ mitgeholfen 1500 Mahlzeiten vorzubereiten und zu verteilen. Politiker, die dieses Elend sehenden Auges akzeptieren, haben unseren Respekt nicht mehr verdient. Mein Respekt jedenfalls gilt jenen geflüchteten Menschen, die trotz des völligen Versagens Europas noch immer freundlich und höflich bleiben.

3. Tag (17. September 2020)

Der 2. Morgen in Lesbos, ein bisschen Zeit, den gestrigen Tag Revue passieren zu lassen. 

Während die österr. Regierung sich rühmt Zelte nach Athen geliefert zu haben, gibt es im neuen Camp noch nicht einmal Toiletten. Die Menschen von Moria haben extrem große Angst, ins Camp zu ziehen, auch wegen Corona.181 österr. Container, die im Frühjahr als „Soforthilfe“ ebenfalls nach Athen geliefert worden waren, sind nach wie vor dort.

Im Gegensatz zu manchen Fernsehbildern, war die Situation dort, wo wir Essen geliefert haben, ruhig. Alle haben sich unglaublich diszipliniert angestellt, den Frauen und Kindern unaufgefordert den Vortritt gelassen. Es gibt so wahnsinnig viele Kinder hier, kleine Kinder, Kinder im Schulalter. Sie schlafen im Staub, spielen im Staub, essen im Staub. Ihre Behausungen sind Planen direkt neben der Straße, an der die Lkw vorbeidonnern.

Eine syrische Familie aus Deir ez Zor mit zwei kleinen Buben erzählt mir, dass sie seit über einem Jahr in Moria sind, bis jetzt hat sie noch nicht einmal jemand zu ihren Asylgründen befragt. Andrerseits haben wir Dokumente gesehen, die beweisen, dass auch Geflüchtete, die bereits Asyl erhalten haben, nicht von der Insel gelassen werden.

Wir sprechen mit A. aus Afghanistan, sie ist vielleicht 17 Jahre alt, ein hübsches Mädchen. Sie ist 2 Stunden zu Fuß von Kara Tepe hierher gegangen um Essen für ihre Familie zu holen. Pro Person eine kleine Box, dazu ein Stück Fladenbrot, einen Apfel. Alle bedanken sich herzlich für die Mahlzeiten, die wir mit „Home for all“ bringen. Auch die griechische Regierung vergibt eigene Mahlzeiten (das System hab ich noch nicht ganz durchschaut), die Flüchtlinge erzählen uns von Maden und Würmern in den Portionen. Es gibt Fotos davon.

Babywindeln und Einlagen für menstruierende Frauen sind ein begehrtes Gut. Wir haben einige mit und vergeben sie streng rationiert.

Überall entlang der Straßen rund um Moria liegt Müll, zT auch gesammelt in großen schwarzen Säcken, die aber offenbar niemand abholt. Warum das so ist, werden wir hoffentlich in den nächsten Tagen den Bürgermeister fragen können. Lesbos ist ansonsten eine sehr saubere, schöne Insel.

Hier leiden Menschen, hungern, leben auf unbestimmte Zeit in Dreck und Elend  - und das mitten im friedlichen Europa. Im Jahr 2020.

Am Nachmittag wird die Situation unübersichtlicher. Während wir Hummus mit Reis verpacken, kommen immer wieder neue Nachrichten. Heute versucht die Polizei die Flüchtlinge zu überzeugen, ins neue Camp zu gehen. Vorerst noch - halbwegs - freundlich, jedoch mit unverhohlenen Drohungen. Für Sonntag ist dann allerdings ein größerer Einsatz geplant. Wie freundlich der dann wird, sei dahingestellt. 

Die Regierung stoppt jedenfalls sofort die Essenslieferung an alle, die sich außerhalb des Camps befinden. Das neue Lager ist für ca. 5000 Personen gedacht, ca. 12.000 sind hier. Und egal wie viele Zelte noch geliefert werden, es gibt im neuen Camp einfach keinen Platz sie aufzustellen, sagen unsere griechischen Freunde. Nicht für 12.000 oder mehr Menschen. Die Angst, dass hier ein noch schlimmeres Moria 2 entsteht, ist groß.

Die nächste Nachricht lautet dann, dass jetzt nur Familien ins Camp sollen, alleinstehende junge Männer aber nicht. Was mit denen passieren soll, ist offenbar ungeklärt. Zu essen bekommen sie aber definitiv mal nichts. Ob das eine Drohung sein soll oder ob die Menschen tatsächlich ausgehungert werden sollen, um aus Hunger und absoluter Verzweiflung einfach wieder in ihre Heimatländer zurückzukehren, wissen wir nicht. Aber egal, eine derartige Unmenschlichkeit ist nur schwer zu ertragen. 

Parallel dazu erzählen uns bereits Asylberechtigte, dass sie ebenfalls aufgefordert wurden, ins Lager zu gehen, weil die Regierung künftig keinerlei private Unterkünfte mehr bezahle. Also noch mehr Menschen in einem ohnedies viel zu kleinen und unzureichendem Lager.

Die Menschen haben Angst, sind verunsichert, hungrig und durstig. Der griechischen Regierung vertrauen sie nicht mehr, das Lager sei wie ein Gefängnis, aus dem man nicht mehr rauskomme, sagen sie. 

Alle haben natürlich Angst wegen Corona, viele fragen nach Masken. In Griechenland herrscht derzeit überall, drinnen wie draußen, Maskenpflicht. Masken sind allerdings Mangelware. Zumindest, wenn man als Flüchtling nicht einfach in einen Supermarkt gehen kann um eine zu kaufen. Wir haben daher heute um €1500 eurer Spendengelder ca. 4500 Masken in Thessaloniki bestellt. Es wurde uns zugesagt, dass wir sie bereits übermorgen verteilen können.

Der Müll rund um Moria wird natürlich auch immer mehr und, wie es scheint, ganz bewusst nicht abtransportiert. Offenbar setzt man auch hier auf das Produzieren häßlicher Bilder. 

Wie es wirklich hier für die Geflüchteten weiter geht, wissen wir nicht. Und die  Menschen, denen nichts außer ihrem nackten Leben geblieben ist, wissen es schon gar nicht.

Wenn es von diesem heutigen Tag etwas Schönes zu berichten gibt, dann die Tatsache, dass die geflüchteten Menschen trotz des fast unvorstellbaren Elends unglaublich freundlich, liebenswürdig und dankbar, selbst für das bisschen Essen, das wir ihnen bringen, sind. Nikos und Katerina von „Home for all“ formulieren es so: „es ist absolut unwürdig, aber es ist das Beste was wir im Moment tun können“.

Katerina und ihr Mann Nikos leisten wirklich Übermenschliches, 7 Tage die Woche versorgen sie Tausende Menschen täglich mit Nahrung und Menschlichkeit. Was ursprünglich als Unterstützung für Kranke gedacht war, ist seit Monaten überlebenswichtig für Tausende und Abertausende.

Was mich täglich fassungsloser macht: das alles passiert in Europa, auf einer idyllischen Insel inmitten unseres Kontinents. Nicht im Krieg und nicht, weil niemand helfen könnte. Sondern einfach deshalb, weil Länder wie auch Österreich nicht wirklich helfen wollen. 

Aber morgen ist ein neuer Tag. Wir machen weiter. Als nächstes werden wir neben weiterer Nahrung auch Hygieneartikel, wie Babywindeln, rezeptfreie Babysalben, Binden etc. besorgen.

UPDATE: ca 1000 Menschen direkt vor dem Camp, ohne Wasser, ohne Nahrung. Ca. 1500, die sich weigern, dort wegzugehen, im alten ausgebrannten Lager.  Alle Zeichen stehen laut griech. Kennern der Lage auf Eskalation. 

Schreckliche Nachrichten: die Griechische Regierung will offenbar heute (!) 12.000 Menschen in das neue Lager bringen. In ein Lager, das schon für 5000 Menschen zu schlecht ausgestattet  und viel zu klein ist.

Laut unseren Informationen herrscht schon jetzt mit viel weniger aufgenommenen Personen völliges Chaos.

In diesem Moment entsteht offenbar Moria 2.0

4. Tag (18. September 2020)

Am heutigen Tag fehlen mir wirklich die Worte, daher vorerst nur ein paar Zeilen. Das neue Lager bei Kara Tepe ist nichts anderes als die Fortsetzung des Elends von Moria. Zelte auf nacktem Boden, der beim ersten Regen zu knöcheltiefem Schlamm werden wird, Kinder hinter Stacheldraht, hungernde Babys mit ihren Müttern am Straßenrand, weil sie ( noch) nicht ins Camp durften. Verzweifelte Männer und Frauen, Junge und Alte, Babies und Kinder, die eigentlich umsorgt und geliebt in einer Schule sitzen sollten.

Die einzig gute Nachricht: die Behörden haben uns am Abend gebeten, entgegen ihren ursprünglichen Anordnungen doch Essen an die Menschen zu verteilen. So konnten wir schließlich dann doch noch ca 600 Menschen außerhalb des Lagers versorgen.

Lesbos und die verweigerte Hilfe der EU Mitgliedstaaten lassen sich nicht schönreden, da helfen auch ein paar Zelte aus Österreich nichts! Die einzige Lösung ist es, die Menschen hier unverzüglich rauszuholen! Lesbos beweist das völlige Versagen der EU! Ganz genauso wie im September 2015.

5. Tag (19. September 2020)

Ein bisschen Zeit um über den gestrigen Tag und die Ereignisse hier nachzudenken.

Die meisten Journalisten scheinen die Insel wieder verlassen zu haben. Vor dem neuen Lager Kara Tepe stehen zwar noch ein paar Kameras herum, der Rest der Welt hat inzwischen offenbar wieder andere Sorgen.

Die meisten Insider haben am gestrigen Tag eher mit einer Eskalation der Situation gerechnet. Zum Glück ist es zumindest bis gestern Abend nicht dazu gekommen. Die geflüchteten Menschen sind völlig erschöpft, hungrig und durstig. Einige, mit denen wir reden konnten, fühlen sich wie in einer Mausefalle, sie können nicht zurück in ihre Heimatländer, aber auch nicht nach vor in ein neues, menschenwürdiges Leben. Europa hält sie in einem elenden Lager auf unbestimmte Zeit einfach gefangen. Zum Teil weit länger als ein Jahr, ohne ein faires Verfahren, ohne die geringste Perspektive.

Eines ist schon jetzt sicher, Kara Tepe wird das neue Moria 2.0. Das Lager ist viel zu klein für 12.000 oder mehr Menschen. Und wenn es regnet, wird es im Schlamm versinken. Daran ändern auch ein paar beheizbare Zelte aus Österreich nichts.

Mir ist völlig unverständlich, wie wir zulassen können, dass kleine Kinder so aufwachsen. Sind wir alle tatsächlich schon so herzlos, oder nur unsere Politiker? Kein Kind dieser Erde sollte auch nur einen Tag hier verbringen müssen! Sie haben schon ihre Heimat verloren, ihr Zuhause, ihre Spielkameraden und ihr Familienumfeld. Und der Rest der Welt sieht zu, wie sie mitten in Europa hungern und leiden. Wollten wir nicht mal der Kontinent der Menschenwürde und Humanität sein? Haben wir gar nichts aus der Vergangenheit gelernt?

Es gibt nur eine Lösung und die muss rasch, vor dem Winter passieren. Holt die Menschen hier raus!! Gebt ihnen faire Verfahren, verteilt sie auf die EU und schickt die, die nicht aus Krisengebieten kommen oder kein Asyl verdient haben, in ihre Heimat zurück. Egal, ob man sie als Flüchtlinge oder Migranten bezeichnet, wenn wir ein rechtsstaatlicher Kontinent sein und bleiben wollen, in dem nicht die Willkür herrscht, hat jeder und jede auch ein rechtsstaatliches Verfahren und währenddessen eine menschenwürdige Behandlung verdient!

Es wäre so einfach! Man muss es nur wollen. Man müsste einfach nur Mensch bleiben.

Nach wie vor sind einige Menschen, auch Familien mit Kindern, im Gebiet rund um Moria. Sie sollen heute ins Lager Kara Tepe transferiert werden. Die Behörden planen strenge Regeln, welche NGOs künftig Hilfe im Lager leisten dürfen und welche ausgesperrt bleiben. Wenigstens wurde bereits zugesagt, dass Home for all in den nächsten Tagen  wieder Hunderte Mahlzeiten für Kranke (zb für Diabetiker)  liefern darf.

Die allg. Meinung hier: das neue Lager ist zumindest besser als Moria. Ja, das stimmt im Moment sicher. Moria war einfach die Hölle, was Kara Tepe wird, wird sich zeigen. 

Wahrscheinlich schon bald, wenn die ersten Regenfälle, Kälte und Stürme kommen. Was geschieht mit den Kindern? Werden sie eine Schule haben, wird es eine Art Kindergarten geben? Ordentliche medizinische Betreuung? Spielsachen? 

Die Hilfe darf auch im neuen Lager nicht enden. Aber oberstes Ziel muss immer  bleiben, die Menschen endlich hier rauszuholen und ihnen ein menschenwürdiges Leben zurückzugeben! 

Never give up!

Heute durften wir auf Grund der noch ziemlich chaotischen Situation keine Mahlzeiten ins Camp bringen. Daher hatten wir ein bisschen Zeit gemeinsam mit Katerina und Nikos und einigen anderen freiwilligen Helfern auf Lesbos auch mal gemütlich zu essen und darüber zu diskutieren, was die Zukunft bringt und wie die weitere Vorgangsweise sein soll. Halten die Freiwilligen durch ihre Hilfe womöglich sogar ein menschenunwürdiges System noch aufrecht? Eine Frage, die für uns unmöglich mit Ja zu beantworten ist, wenn man sich dazu entscheidet, nicht wegzusehen, sondern der Verzweiflung, dem Leid und der Not  der Menschen von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht. Es lassen sich  in der Inneren Stadt in Wien oder in Eisenstadt ja ganz gut Theorien von irgendwelchen Pull-Effekten aufstellen, das tatsächliche Elend findet aber genau jetzt, genau hier statt. Und man sieht es in den Augen der Kinder, im leeren Blick ihrer Mütter oder in der Verzweiflung der jungen Männer, die alle nichts anderes wollen, als ein Leben, ein ganz normales Leben in Frieden und Freiheit.

Es gibt hier auf Lesbos viele viele ganz großartige Menschen, die seit Jahren nicht wegsehen. Griechen wie Katerina und Nikos, die schier Übermenschliches leisten, viele ihrer Freunde, Helfer aus aller Herren Länder, von Spanien, den Niederlanden, Irland oder den USA, die zum Teil schon seit mehreren Jahren tagtäglich in Moria mit großem persönlichen Engagement im Einsatz waren.

Und natürlich gibt es hier auch viele offizielle Aussagen, die kaum ausgesprochen, auch schon wieder anders sind, viele Gerüchte und Vermutungen, die erst verifiziert werden müssen. In einem sind alle einig: es ist völlig egal, ob Kara Tepe vielleicht einen Hauch besser ist als Moria oder ob es womöglich noch unmenschlicher und ein noch größeres Gefängnis verzweifelter Menschen, deren einziges „Verbrechen“ es ist, im falschen Kontinent geboren worden zu sein, ist. Die einzige(!!) humane Lösung ist es, solche Elendslager, egal wo sie sich befinden, aufzulösen und die Menschen, die längst auf europäischem Boden sind in ganz Europa aufzuteilen. Sofort! Und aus dieser Verantwortung kann sich auch Österreich nicht verabschieden, selbst wenn die Zivilgesellschaft vor einigen Jahren tatsächlich viel geleistet hat (jedenfalls mehr als alle hochbezahlten Politiker miteinander zustandegebracht haben).

Außerdem haben wir dank eurer Spenden heute noch einen Kleinwagen mit Babywindeln und Hygieneartikeln für Frauen vollgepackt, die wir hoffentlich am Montag an jene, die es dringend brauchen, verteilen werden dürfen. Dann sind die fast 5000 bestellten Masken hoffentlich auch schon hier.

Hilfe vor Ort bedeutet aber auch längerfristige Hilfe. Wir sind schon dabei mit Experten auf Lesbos zu planen, wie wir die Menschen hier auch noch bestmöglich unterstützen können, wenn wir schon längst wieder zuhause sind. Und wenn ihr wollt und mithelft, dann schaffen wir das auch gemeinsam!

6. Tag (20. September 2020)

Heute haben wir auf der Straße vor Kara Tepe zufällig R. kennengelernt. Eine  19 Jahre junge, moderne Frau aus Ghazni. Sie ist mit ihrem 17jährigen Bruder seit 9 Monaten in Moria und jetzt in Kara Tepe. Sie erzählt uns, dass Moria schrecklich war. Wir fragen: Und jetzt, hier im neuen Lager? Die Antwort: „Es gibt keine Duschen, die Menschen können sich nur im Meer waschen. In den Toiletten ist kein Wasser, sie sind total verdreckt. Wir schlafen auf dem nackten Boden. Es gibt auch kein warmes Wasser um Babybrei zuzubereiten.“

Wir erfahren noch Einiges über R.‘s trauriges Schicksal, um sie zu schützen, werde ich es vorerst hier nicht schreiben. Vielleicht aber demnächst mehr.

Und noch immer werden Menschen in Bussen nach Kara Tepe gebracht, obwohl das Lager schon längst überfüllt ist...

Was an dieser Stelle noch gesagt werden muss: wir haben auch schon mit verschiedenen Bewohnern von Lesbos gesprochen - bis jetzt hat sich noch niemand feindlich gegenüber Flüchtlingen geäußert. Sie alle wollen, dass Menschen ordentlich untergebracht werden und hätten keinerlei Probleme mit etwa 4000 Geflüchteten auf ihrer Insel. Aber eines empfinden auch alle gleich: die EU lässt nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch die Menschen von Lesbos im Stich. 

Morgen hoffen wir, dass wir endlich wieder jene kranken Menschen, die auf spezielle Diätnahrung angewiesen sind, mit Mahlzeiten versorgen dürfen.

Während ich diese Zeilen verfasse, denke ich oft, dass es kaum geeignete Worte gibt um zu beschreiben, wie Geflüchtete, die bereits alles verloren haben, von und in Europa behandelt werden. Es ist tatsächlich unfassbar, unbeschreibbar. Aber noch unfassbarer sind für mich die Reaktionen der österreichischen Politiker. Ihnen möchte ich ins Gesicht sagen: Kommt doch her, schaut euch mit eigenen Augen an, worüber ihr da redet! Sprecht mit den Kindern, Frauen, Männern und hört endlich auf, Strategiespiele auf dem Rücken von Menschen zu spielen! 

7. Tag (21. September 2020)

Gestern am Abend haben wir uns mit Kilian Kleinschmidt getroffen. Und auch viele neue Denkanstöße, andere Perspektiven und Anregungen bekommen, danke dafür!

Weil auch immer wieder geschrieben wird, „die Griechen“ seien einerseits wegen der Flüchtlinge so arm und andrerseits die nahezu Alleinschuldigen an dem ganzen Elend, dazu ein paar Worte aus meiner Sicht.

Beides stimmt nicht. Hier in Mytilene und in anderen Orten der Insel findet ganz normales Kleinstadtleben statt. Mit ganz normalen Alltagssorgen und wirtschaftlichen Problemen. Wer hier lebt, müsste nicht einmal eine Ahnung haben, was 6 Kilometer entfernt passiert. Und wie überall auf der Welt gibt es natürlich auch Fanatiker, Rechtsextreme und Rassisten. Aber die Mehrheit sind ganz normale Menschen, deren Wunsch es ebenfalls ist, dass andere Menschen ein menschenwürdiges Leben führen dürfen. 

Und natürlich liegt die Schuld an der Flüchtlingsbewegung zumindest nicht alleine an Europa. Selbstverständlich müssen die Zustände in Syrien, in Afghanistan, in vielen Ländern der Welt geändert werden. Das werden wir hier aber jetzt nicht schaffen. 

Das Einzige was wir jetzt alle gemeinsam tun können, ist, die unerträgliche Situation der Menschen vor Ort zu verbessern. Und wenn es immer nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Aber das geht! Das schaffen wir als Europäer! Man muss es nur wirklich wollen!

Eine Mahlzeit pro Tag, keine Babynahrung, nach wie vor keine Duschen, die Situation im Lager RIK Lesbos (so der offizielle Name) verbessert sich, wenn überhaupt, nur sehr sehr langsam. Egal wie man es dreht und wendet, das neue Lager kann nur eine Notlösung für wenige Wochen sein, die Menschen müssen hier raus!! 

Bereits Asylberechtigte wurden aus dem Camp inzwischen wieder hinausgeworfen, ohne Chance auf  andere Unterbringung. Sie leben ohne jegliche Versorgung wieder in den Brandruinen von Moria. Wir werden sie natürlich gemeinsam mit Home for all mit Nahrung beliefern. 

Außerdem haben wir heute als Soforthilfe im nächstgelegenen Supermarkt einiges an Babynahrung gekauft, die morgen übergeben wird.

Egal wo man hier hinschaut, ist sofortige Hilfe notwendig. Und eines ist gewiss: die Hilfe darf nicht enden, so lange bis die Flüchtlinge das Camp endlich in eine menschenwürdige Unterbringung verlassen dürfen. Noch sind einige internationale Helfer hier, die Lage wird sich aber sofort weiter verschärfen, sobald das Wetter schlecht wird und Lesbos aus den täglichen Schlagzeilen verschwindet.

8. Tag (22. September 2020)

Auf der schattenlosen Straße zwischen Moria und Lesbos sind viele Menschen unterwegs. Sie versuchen ihre verbliebenen Habe nach Kara Tepe zu bringen. Wir fragen einige, wie es ihnen geht und die Antwort ist seit Tagen immer die Gleiche: Moria war schlimm, das neue Lager aber ist noch viel schlimmer. No food, no showers, no toilets. 

Und immer wieder bin ich fassungslos: Wie kann das in Europa möglich sein? Wie können Politiker so herzlos und so mitleidlos sein und weder Griechenland noch den geflüchten Menschen helfen wollen. 

Zu sehen, wie kleine Kinder - vielleicht 5 bis 8 Jahre alt - sich abmühen, ihren Eltern zu helfen, bricht einem fast das Herz. Kleine Kinder, die bisher nichts anderes erlebt haben als Krieg, Grauen und das Elend in einem Lager in Europa. Egal wer objektiv an den untragbaren Zuständen Schuld trägt, das ist unser aller Schande.

„Welcome to Europe“ hat irgendwann jemand auf eine Wand in der Nähe von Moria gesprüht....

Eure gespendeten Masken sind heute angekommen, einige wurden bereits verteilt.

Heute haben wir auch nahezu den kompletten Lagerbestand an Babyfläschchen eines Supermarkts aufgekauft. Morgen dürfen wir hoffentlich zu den alleinstehenden Müttern mit Babys, die außerhalb von Kara Tepe untergebracht sind, und ihnen Babynahrung und Mahlzeiten für sie bringen.

Immer wieder zwei gegensätzliche Fragen. Was kann jeder Einzelne tun, wie kann man helfen? Und andrerseits: verlängert man durch freiwillige Hilfe nicht womöglich sogar das Elend der Menschen und unterstützt ein unmenschliches System?

Ad 1) natürlich hat nicht jede/r die Möglichkeit, persönlich vor Ort zu helfen. Aber wenn, dann bitte nur in Abstimmung mit einer erfahrenen lokalen NGO, die weiß, wie man mit den Gegebenheiten umgeht und trotz diverser Hindernisse am besten rasch und effizient hilft (teure Container, die dann monatelang in Athen herumstehen, machen kein Baby satt und helfen niemandem). Mit Geldspenden an ansässige NGOs unterstützt man nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch die lokale Wirtschaft, was ebenfalls wichtig ist.

Ad 2) Wie auch in Österreich erledigen hier mehrere NGOs Aufgaben, für die eigentlich der Staat zuständig wäre. Und noch viel mehr und noch viel Wichtigeres. Genau jene freiwillige Hilfe bewahrt nämlich unsere Menschlichkeit. Sie zeigt den Geflüchteten, dass es NICHT egal ist, wenn Kranke kein vernünftiges Essen kriegen, Babys keine Windeln haben oder Menschen jahrelang in Lagern festgehalten werden. Und manchmal sind ein paar freundliche Worte, Zuwendung, ein Lächeln das Wichtigste, was man im Augenblick tun kann.

9. Tag (23. September 2020)

Ja, das Leben auf der Insel hat sich im Moment wieder halbwegs normalisiert, zumindest für die Griechen. Die Straßen rund um Moria und Kara Tepe sind wieder befahrbar, das Leben geht seinen gewohnten Gang. Wie auch schon vorher, selbst als noch 20.000 geflüchtete Menschen in Moria lebten.

Dass die Idee, die Planung und die Durchführung , das Lager anzuzünden, von einer Handvoll Flüchtlinge allein stammt, glaubt hier niemand. Aber alle Theorien stützen sich derzeit noch auf Gerüchte, die ich nicht weiterverbreiten möchte.

Heute ist ein neuer Tag, wir machen weiter. Und wie jeden Morgen die Hoffnung, dass wir gemeinsam mit Euch zumindest ein klein wenig dazu beitragen können, das Leben der Menschen in Kara Tepe ein bisschen menschenwürdiger zu machen.

Manchmal stell ich mir die Frage wie lange die Leute wohl noch zuhören werden, wenn man von Lesbos berichtet?  Fast alle Kamerateams sind bereits weitergezogen, und warten vermutlich anderswo auf neuere Katastrophen. Den Menschen hier geht es aber nach wie vor nicht wirklich besser.

Wir haben auch wieder viele Mahlzeiten ausgeliefert. Unter anderem an jene Familien, die noch immer auf der Straße vor Moria leben und auch an ein Tageszentrum, in dem auch Flüchtlingskinder, die zb an Down Syndrom leiden, einige Stunden verbringen dürfen.

Auch Abdelkarim aus Syrien, der im Rollstuhl sitzt, sowie drei weitere Männer mit schweren Bewegungseinschränkungen werden von Home for all mit Mahlzeiten versorgt. Diese vier durften dank des tollen Einsatzes von deutschen und griechischen Freiwilligen das Camp verlassen und in eine behindertengerechtere Unterkunft ziehen. 

Dann erfahren wir von einer Rechtsberaterin, dass viele Menschen bereits Dublin III Aufnahmezusagen von anderen europäischen Ländern haben, die einfach nur noch von Griechenland akzeptiert und abgewickelt werden müssten. Warum auch diese Menschen nach wie vor im Camp Kara Tepe bleiben müssen und nicht sofort ausreisen dürfen, konnte uns noch niemand erklären.

Gestern Abend ist Martina Egger als weitere Unterstützung zu uns gestoßen. Sie spricht perfekt Griechisch, was natürlich besonders in speziellen Situationen sehr hilfreich ist. Und ja, irgendwo hat sich heute auch ein Lichtblick für ein paar besondere Menschen aufgetan. Wir hoffen sehr, dass wir demnächst auch einmal wirklich gute Nachrichten überbringen können.

Tja und dann haben wir nebenbei auch noch ein kleines griechisches Katzenbaby, das bereits vor Hunger schrie, mit Katzenfutter versorgt. 

Und morgen ist ein neuer Tag...

10. Tag (24. September 2020)

Der Tag beginnt eigentlich mit „Business als usual“. Wir bringen Mahlzeiten an die üblichen Orte. Die zugesagte Liste für die zu versorgenden Kranken im Camp ist noch immer nicht eingetroffen. Warum? Wer weiß das schon. Aber morgen dürfen wir sie angeblich selbst erstellen bzw direkt im Lager erfragen. Hoffentlich!

Die Menschen im Camp verbringen, so wie es aussieht, ihre Tage mit Anstellen. Für die Essensausgabe, vor den Toiletten, vor Zelten in denen, das hoffen wir zumindest, Decken oder Kleidung ausgeben werden, vor dem Ausgang, bei dem jeder eine Nummer erhält, und dann wieder bei der Rückkehr ins Lager. Stundenlang. 

Mein persönlicher Eindruck: irgendwie scheint alles bereits einer völlig absurden Dramaturgie zu folgen. Normalbetrieb eines inhumanen Theaters, das auf dem Rücken der Schwächsten der Schwachen ausgetragen wird.

Dann wieder Moria. Wenn die Menschen den Van von „Home for all“ sehen, beginnen sie zu laufen. Mit kleinen Kindern auf dem Arm, an der Hand, im Kinderwagen. Laufen um eine warme Mahlzeit zu bekommen. 

Menschen laufen in Europa 2020 um

Essen, weil satte Politiker meinen, dass ihnen das Wählerstimmen bringt. Wie zynisch kann Europa und, ja, auch Österreich, noch sein?

Kleine Kinder, die nichts anderes als das Leben in Moria kennen, strahlen über das ganze Gesicht, wenn sie einen Apfel bekommen. Was wohl werden wir zu Weihnachten in unseren sicheren Häusern alles aufbieten müssen, um Kinderaugen so zum Leuchten zu bringen ?

Und wenn wir den Kindern und Eltern dann nachsehen, wie sie wieder in Richtung Kara Tepe gehen, dann zerreißt es einem nahezu das Herz. 

Aber wir treffen heute auch Suleiman, dessen größte Sorge es war, im neuen Lager nicht mehr für die beiden von ihm geretteten Hundewelpen sorgen zu dürfen. Und dann auch noch eine kleine Familie, die ein Katzenbaby liebevoll auf einer selbstgebastelten Konstruktion mit ihren Haben transportiert. Sie sind Menschen geblieben. Trotz alledem.

Weil das auch einmal gesagt werden soll: die Welt und die Menschen sind nicht nur schlecht, hartherzig und aus politischem Kalkül heraus agierend. Hier auf Lesbos haben sich nicht nur jetzt in der akuten Krise, sondern auch schon seit Jahren, zahlreiche Menschen zusammengefunden, die nicht einfach wegschauen, sondern aktiv mithelfen, Leid zu verringern. Männer und Frauen aus Deutschland, Spanien, Großbritannien, Holland, der Schweiz, den USA, Frankreich usw. Sie haben zT seit Jahren versucht, das Leben der Menschen hier ein klein wenig zu erleichtern. Nicht als Mitglieder riesiger NGOs sondern als aktive Bürger. Es gab in Moria Kinderaktivitäten, Schulunterricht, medizinische Versorgung, psychologische Betreuung und auch Freizeitaktivitäten, alles umgesetzt und betreut von Ehrenamtlichen. Überall dort, wo die staatlichen Strukturen versagt haben, ist die Zivilgesellschaft dieser Welt eingesprungen und hat getan, was notwendig war. Sei es mit persönlicher Hilfe vor Ort oder mit Spenden, ohne die diese Hilfe gar nicht möglich wäre.

Alle mit denen wir reden wissen, dass das manchmal frustrierend oder hoffnungslos scheint, aber alle machen weiter. Einfach weil es um Menschen geht, die genau das gleiche Anrecht auf ein menschenwürdiges Leben haben wie wir alle. Und wir alle wissen, dass Aufgeben keine Option ist!

In Kara Tepe verbessert sich die Situation nur sehr langsam. Es wurden zwar inzwischen einige zusätzliche Toiletten gebracht ( anstelle der ursprünglichen 35 für 10.000 Menschen), manche Zelte haben Strom, Duschen gibt es aber nach wie vor keine.

11. Tag (25. September 2020)

Heute durften wir das erste Mal offiziell ins neue Lager um endlich herauszufinden, in welchen Zelten die Menschen leben, die dringend besondere Diätmahlzeiten brauchen und von Katerina Nikos in Moria seit Jahren versorgt wurden. Eine schier unmögliche Aufgabe ohne offizielle Unterstützung oder eine funktionierende staatliche Struktur.

Und weil ich weiß, dass diese Frage gleich kommen wird: Nein, von den so groß präsentierten Hilfsgütern aus Österreich haben wir nichts gesehen. Sehr viel Unterstützung kam offenbar aus  Deutschland bzw vom Deutschen Roten Kreuz. Sanitätszelte und Wohnzelte waren überall zu finden. Von österreichischer Hilfe hat hier bisher niemand je etwas gehört oder gesehen. 

Egal wo wir hinkommen, bitten uns Menschen um Hilfe. Sie haben auf Grund der im Camp angebotenen Nahrung Magen- und Darmprobleme, viele haben Herzbeschwerden und unbehandelte Verletzungen. Es tut weh, wirklich weh, diesen Menschen nicht helfen zu können. Und ich frage mich: wer wird ihnen denn überhaupt helfen? 

Wer wird den vielen Kindern helfen? Ihnen eine Ausbildung ermöglichen? Ein Leben schenken, wie es jedes Kind dieser Erde verdient hat?

Wenn euch irgendjemand wieder mal erzählen will, dass es nur Männer sind, die flüchten, dann bitte glaubt es nicht! Hier in Kara Tepe leben tausende Kinder!

Tausende kleine Kinder, die kein Spielzeug besitzen, keine gesunden Mahlzeiten bekommen, kein Dach über dem Kopf haben und nicht einmal warmes Wasser um sich zu waschen. Kinder, deren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem nackten Zelt in der prallen Sonne von Lesbos stattfindet.

Ich würde euch so gerne beschreiben, wie die Situation tatsächlich ist, aber es ist - wie es eine deutsche Journalistin unlängst gesagt hat - einfach jenseits von Worten.

Auch auf der Straße vor den Ruinen von Moria warten noch immer Menschen darauf, dass wir ihnen Mahlzeiten bringen. 

Für sie haben wir dank eurer Spenden heute um €1600.- Lebensmittel und Fleisch gekauft. Danke für euer aller Unterstützung, die hier jeden Tag aufs Neue gebraucht wird!

12. Tag (26. September 2020)

Heute ist mein letzter Tag hier auf Lesbos (Doro bleibt noch hier). Und ich freue mich sehr auf mein Zuhause, meine Familie, meine Freunde, meinen Hund, mein ganz normales Leben. Aber gleichzeitig würde ich gerne hier bleiben, bei den Menschen von Moria, die schon wieder aus den Schlagzeilen verschwunden und fast vergessen sind. Für die Politiker dieser Welt sind sie bestenfalls Figuren in derem Spiel um die Macht.

Heute haben wir um euer Spendengeld nicht nur wie sonst Lebensmittel oder Hygieneartikel gekauft, sondern auch etwas für die Seelen der großen und kleinen Menschen getan: wir haben Kinderspielzeuge besorgt und während der Ausgabe der Mahlzeiten an Eltern und Kinder verteilt. Nie habe ich mir vorstellen können, wieviel Glück Eltern empfinden, wenn sie ihre Kinder erstmals im Leben mit einem neuen Spielzeugauto oder Stofftier in Händen sehen. Und ebenfalls unvorstellbar war mir, wie viel Freude ein kleines, billiges Spielzeugauto bereiten kann, wenn man es zum ersten Mal über eine staubige Straße fahren lässt. 

Aber dann auch der kleine Bub, vielleicht 7 Jahre alt, der 3x „thank you“ sagt und uns gleichzeitig aus den traurigsten Augen dieser Welt ansieht. Was hat dieses Kind wohl schon gesehen und erlebt?

Meine Gefühle schwanken zwischen verzweifelter Trauer und unbändigem Zorn auf all jene, die meinen, dass es nur um hässliche „Bilder“ gehe. Nein, ihr vermeintlichen Herren der Welt, wo immer ihr auch hockt, es geht um Menschen! Um Menschen, die zumindest so wertvoll sind wie ihr, aber vermutlich sogar viel wertvoller. 

Und deshalb werden wir auch weiterkämpfen!

Tag 1 nach Moria, wieder zu Hause, (28. September 2020)

Ich habe heute in einem warmen Bett geschlafen, heiß geduscht und schreibe diese Zeilen in einem geheizten Wohnzimmer. Ich bin da, aber mit dem Kopf und dem Herzen bei den Menschen in Moria. Dort wird es bald regnen und ebenfalls kalt werden. 

Und wenn wir nicht rasch handeln, werden Tausende kleine Kinder frieren, ohne Schutz vor Regen und Kälte sein. 

Es ist mir hier genauso unerträglich wie direkt vor Ort in Kara Tepe, die faulen Ausreden unserer Politiker zu hören, warum wir keine Menschen aus diesem unglaublichen Elend aufnehmen wollen. Es gibt keine Entschuldigung und keinen zu rechtfertigenden Grund, warum wir zusehen, wie Babys in dieser Hölle aufwachsen. 

Keinen Einzigen!

Die einzige Erklärung wäre, dass unsere Politiker wirklich absolut herzlos sind und keinerlei Interesse an Menschen haben. Aber das kann und will ich nicht glauben! Eine solche Politik haben wir nicht gewählt!

Und umso wichtiger ist es jetzt nicht aufzugeben! Auch wenn die Kinder von Moria schon aus den Schlagzeilen verschwunden sind.

Die unmenschlichen Dauerlager auf Lesbos müssen aufgelöst werden, die Verfahren beschleunigt und die Menschen menschenwürdig in Europa untergebracht werden! 

Wenn WIR Menschen bleiben wollen, gibt es dazu keine Alternative!

Gemeinsam werden wir in den nächsten Tage besprechen und planen, wie wir die gespendeten Mittel am vernünftigsten und nachhaltigsten direkt den Menschen vor Ort zugute kommen lassen. Wir halten euch auf dem Laufenden!

Tag 2 nach Moria (29. September 2020)

In den vergangenen beiden Tagen hatte ich etwas Zeit um über die Ereignisse auf Lesbos nachzudenken. Und es gibt nicht nur Schreckliches zu berichten, sondern auch vieles, das Hoffnung macht.

Wir haben in den letzten Wochen großartige Menschen aus den verschiedensten Teilen der Welt getroffen. Unter den Geflüchteten genauso wie bei den HelferInnen. Aus Österreich unter anderem Georg Jachan, Markus Golla Mimi Sommer Andrea Kdolsky II Bobo Schönwettergott, Martina Egger oder Ronny Kokert, um nur einige zu nennen. Oder auch die Omas gegen Rechts, die bei jedem Wetter vor dem Bundeskanzleramt auf das Unrecht von Moria hinweisen.

Sie alle haben innerhalb kürzester Zeit die Ärmel aufgekrempelt, Spenden gesammelt und die Hilfe den Menschen in Not sofort zukommen lassen. Das war nur möglich, weil es auch tausenden Menschen in Österreich NICHT egal ist, wenn andere Menschen mitten in Europa leiden. Sie haben nicht gezögert und für die Menschen von Moria gespendet. Und es egal, ob es 5 oder 5000 Euro waren. Jede Hilfe war ein Tropfen von vielen,die die Not ein klein wenig lindern.

Wir haben verschiedene Biographien, verschiedene Berufe, unterschiedliche Freunde. Im „normalen“ Alltagsleben kaum Anknüpfungspunkte, hätten uns also wohl kaum jemals bei einem Kaffee getroffen. Manche unserer Spender kenne ich, die Mehrheit natürlich nicht. Aber eines eint uns: WIR sind die österreichische Zivilgesellschaft und wir sind viele, mehr als uns so manche Politiker glauben machen wollen.

Was bezwecken unsere Regierenden, wenn sie uns einreden, dass es nicht möglich sei, ein paar Kinder zu retten? Wem wurde dadurch geholfen, dass ein paar Container und Zelte unter dem Trommelwirbel der Presse nach Athen gebracht wurden? Wem nützt es, wenn dauernd von europäischen Lösungen gefaselt wird, diese aber im gleichen Atemzug verhindert werden? Und glaubt wirklich jemand, dass genau diese Politiker solidarischer sein werden mit Menschen in Not, die per Zufall in Kohfidisch oder Altlengbach, anstatt in Kabul oder Aleppo geboren wurden?

Eine österreichische Tageszeitung schreibt von „Kinderlachen am Strand“ von Kara Tepe. Und das klingt ein bisschen so nach Sandburgbauen, Campingurlaub, unbeschwerter Kindheit. Es ist in Wahrheit aber genau das Gegenteil: Kinder leben dort auf Steinen, neben Geröllhalden, ohne Schule, ohne ordentliche medizinische Versorgung ohne ausreichend Nahrung oder Windeln. Aber eines stimmt und das ist viel trauriger: ich habe in Moria oder Kara Tepe kein einziges Kind weinen gehört oder gesehen. Sie gehen mit ihren Eltern stundenlang in der prallen Sonne für ein bisschen Nahrung, die sie zum Beispiel von Katerina Nikos bekommen. Sie stehen für Wasser im Camp an und waschen sich im Meer. Und sie haben keine Tränen mehr.

Tausende tränenlose Kinder, von denen unsere Regierung nicht einmal 100 retten will.

Wollen wir tatsächlich so sein?

Lesbos