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13 Jul 2022 - 08:07

Lesbos April 2022

6. Einsatz von „Unser Bruck hilft“ auf Lesbos
Flucht

gemeinsam mit Kinderpsychiaterin Dr. Michaela Fried www.b4hp.org. Sie hat uns auch schon beim 3. Einsatz im Jänner 2021 begleitet.

Da bis auf die Maskenpflicht in Innenräumen alle Coronamaßnahmen ausgesetzt waren, hat sich unser Bewegungsraum wesentlich verändert. Ein intensiver Austausch mit anderen NGO´s vor Ort und der Besuch von Initiativen für flüchtende Menschen war uneingeschränkt möglich.

Wir lernten die Initiatorinnen von LESVOS SOLIDARITY kennen, die bis zum Brand vom LAGER MORIA das einzige und sehr erfolgreiche, selbstverwaltete Flüchtlingslager PIKPA unterhielten. 



Darüber wurde ein Buch veröffentlicht, ein Beispiel humaner Flüchtlingsbetreuung. Das Lager wurde völlig überraschend nach dem Brand von Moria von der Polizei aufgelöst.

 

Projekte mit Lesvos Solidarity

Ihr Communitycenter MOSAIK www.lesvosmosaik.org, das Restaurant und Ausbildungsort NAN für KöchInnen und KellnerInnen (in der Tourismusbranche besteht eine realistische Aussicht auf Arbeit in Griechenland), ein MUTTER UND KINDHEIM für flüchtende Frauen in der Hauptstadt Mytilini besteht weiter und wir unterstützen diese Initiativen nach Kräften.

 

Der Film von Lesvos Solidarity „PEOPLE IN THE DUMPS“ http://youtu.be/YZozkgyibeE vermittelt eine Einschätzung der Zukunft für flüchtende Menschen auf griechischen Inseln, die leider in Richtung geschlossener Lager im Inselinneren zeigt, ohne Zugang für NGO`s.

 

Zur Lage im Camp Kara Tepe 2 für AsylwerberInnen

Zurzeit leben ca. 1200 Menschen, teils mit Familien im LAGER KARA TEPE 2 am Meer in gehweite zur Hauptstadt Mytilini. Die meisten Zelte sind Containern gewichen, asylsuchende Flüchtlinge dürfen nach ausführlichen Sicherheitschecks das Lager verlassen und wieder betreten. Sie werden im Lager rudimentär mit Essen versorgt, erhalten medizinische Hilfe von NGO´s und „SOS Kinderdorf“ betreut im Lager schulpflichtige Kinder.

 

Positiver Asylbescheid und was nun?

Wer Asyl erhält, muss das Lager verlassen und erhält keinerlei staatliche Unterstützung mehr.

Manche bleiben in Mytilini und werden von NGO´s versorgt und betreut, vor allem DORO BLANCKE www.doroblancke.at mit ihrem Team leistet großartige Hilfe. Oder die Asylberechtigten ziehen nach Athen und Thessaloniki weiter. In völlig prekäre Lebensumstände. Der tägliche Kampf um Schlafplatz, Essen, Arbeitssuche und Schulsuche für die Kinder ist zermürbend. Wie schon bei meinem letzten Bericht aus Athen (September 2021) beschrieben, zwingt der aussichtslose Überlebenskampf vor Ort die Menschen zum Weiterflüchten in andere Länder. Dort ist ein neuerlicher Asylantrag zu stellen, Leben in Flüchtlingsunterkünften inclusive. Eine Rückführung nach Griechenland wurde von der EU ausgesetzt, da eine Existenz im Land als nicht möglich eingeschätzt wird.

Der Weg über die Balkanroute ist in seiner Gefährlichkeit (Pushbacks an den Grenzen, keine Unterkünfte, keine medizinischen Versorgung) oft dokumentiert worden, aber es bleibt nur mehr der Weg NACH VORNE und die Hoffnung doch irgendwo einen sicheren Lebensort zu finden, an dem Überleben möglich scheint.

ZURÜCK ist keine Option.

 

 

 

Projekte mit Medical Volunteers International in der Mental Health Clinic für traumatisierte Familien, Kinder und Erwachsene www.medical.volunteers.org/

Die Erlebnisse, die Menschen in ihren Herkunftsländern und meist auch auf der Flucht ertragen mussten, sind erschütternd. Das Terrorisieren und Töten der Zivilbevölkerung und politischer sowie religiöser Oppositioneller lässt nur mehr die Flucht zu. Kaum eine Familie, die nicht durch Terror ein Familienmitglied verloren hat. Und wäre die nicht schon unerträglich genug wissen sie, wer die nächsten sein werden.

 

Die meisten Eltern flüchten aus Angst um ihre Kinder oder schicken heranwachsende Söhne auf die Flucht damit diese nicht dem Militär in die Hände fallen und zum Töten der eigenen Bevölkerungsgruppe gezwungen werden. Das erklärt auch die große Gruppe junger Männer aus dem Kongo, Somalia, Afghanistan, Syrien…

Der missliebige Begriff „Ankerkind“ ist nicht nur diskriminierend, sondern trifft auch den Sachverhalt nicht. Zuerst steht der Wunsch, dass das Kind, Jugendlicher, junger Mann in Sicherheit gebracht wird. Dann erst kommt vielleicht der Wunsch auf diesem als Familie zu folgen, wenn sich der Terror im Heimatland gegen sie verschärft. Die meisten können nicht weg, sind den Strapazen der Fluchtwege nicht gewachsen, weder physisch noch psychisch. Legale Wege sind versperrt, ein Asylantrag kann im Heimatland nicht gestellt werden.

Zur Traumatisierung in den Herkunftsländern kommt die weitere durch der Flucht hinzu und die schwierige Ankunft in Griechenland. Der Weg über das Meer ist lebensgefährlich, völlig erschöpft und oft unter Verlust eines weiteren Familienmitglieds, kommen Menschen auf Lesbos an. 

 

HelferInnen von der Insel werden mittlerweile kriminalisiert, als SchlepperInnen diffamiert und vor Gericht gestellt.

 

Flüchtlingslager unterstehen dem Militär und sind auf ehemaligen Truppenübungsplätzen eingerichtet. Mit den entsprechenden Regeln.

Elterncoaching für traumatisierte Kinder

Seit dem vorigen Jahr haben wir gemeinsam mit den MitarbeiterInnen der Mental Health Clinic ein Elterncoachingprogramm für traumatisierte Kinder entwickelt. Unter Einbeziehung der ÜbersetzerInnen, auch sie flüchtende Menschen aus dem Lager Kara Tepe 2, mit entsprechendem Bildungshintergrund. (ÄrztInnen, Hebammen, LehrerInnen, StudentInnen....).

 

Die Sorgen der Eltern, Kümmernisse, Ängste um ihre Kinder sind weltumspannend ähnlich.

Wie erreiche ich mein verstörtes Kind, das nächtens bettnässt und dissoziiert, nicht mehr spricht, sich in sich zurückzieht, ständig erbricht, sich körperlich nicht altersadäquat entwickelt uvm....

Konkrete Tipps, wie man einem Kind aus einer akuten Retraumatisierung heraushelfen kann.

Eltern verlieren auch manchmal ihre Erziehungskompetenz vor und auf der Flucht, da sie ihre Kinder oftmals nicht ausreichend vor Gewalt schützen können. Die bekannte und haltgebende Organisation des Familienalltags ist zerbrochen, Chaos und Willkür der Tagesablauf. Die Eltern zu stärken und mit ihnen erarbeiten, wie sie beständige Ordnungen in kleinen „Tagesinsel“ kreieren (z.B. „wer sitzt wo in der Familie beim Essen“, egal wo die Familie sich gemeinsam befindet) gibt Kindern Sicherheit und ist auch heilend für das Familiensystem.

Das beschreibt unsere Arbeit im Wesentlichen, manchmal nehmen Mütter und Väter auch selbst therapeutische Hilfe in Anspruch, das MVI Team hat hierfür präsente, freiwillige TherapeutInnen zur Verfügung, die auch langfristigere Therapieprozesse begleiten können. Für die Kinder gibt es unterstützende therapeutische Kindergruppen.

Es waren sehr berührende Begegnungen für mich, wann sind sich Menschen wohl näher als im Teilen unserer Sorgen und im Unterstützung geben können?

Auswirkungen von unbewältigtem Trauma im Ankunftsland

Neben dem persönlichen Aspekt ist es auch aus professioneller Perspektive als Traumatherapeutin wichtig, diese so früh wie möglich zu bearbeiten. Und ja, es ist harte Arbeit für die Flüchtenden, die ÜbersetzerInnen und uns TherapeutInnen. Unbearbeitete Traumata führen dazu, dass unser Gehirn von Stresshormonen überflutet bleibt und führt längerfristig dazu, dass in bestimmte Bereichen diese „abgelagert“ und die Verbindung dazu „abgeschaltet“ werden. Da das unmittelbare Überleben wichtig ist, Essen, Wohnen, Schlafen, Sicherheit. Diejenigen Areale, die für Neugier, Lernen, soziale Fähigkeiten, Selbstfürsorge aktiviert werden, sind meist in den blockierten Bereichen verortet.

Dies führt oft zu dem Phänomen, dass flüchtende Menschen Fähigkeiten nicht mehr „abrufen“  können, im Ankunftsland nicht mehr die psychische Kraft aufbringen Chancen wahrzunehmen, Sprachen zu erlernen, Berufsausbildungen zu absolvieren, neue Lebensformen ausprobieren um schlussendlich anzukommen.

Neben all´ den Hürden, die ihnen durch geschürte Fremdenfeindlichkeit in die Wege geworfen werden.

„Österreich braucht dringend Arbeitskräfte, wer wenn nicht die mitteleuropäischen Staaten mit ihrem dualen Bildungssystem könnte die sogenannten unqualifizierten Arbeitskräfte integrieren? Der österreichische Mittelstand schafft es seit Jahrzehnten, aus unmotivierten Pubertierenden innerhalb von drei Jahren MaurergesellInnen, TischlerInnen, KrankenpflegerInnen zu machen, sie alle werden händeringend gesucht. Warum also nicht selbstbewusst jene jungen Menschen begrüßen, die übers Meer geschwommen und Länder durchwandert haben um hier anzukommen?“ (Frei zitiert aus Der Spiegel 18.12.21 von Naika Forountan)

Ein winzig kleiner Beitrag, ich weiß, den wir hier leisten, am Ende (oder Beginn) der europäischen Welt. Ein notwendiger Perspektivenwechsel, den wir auch ständig evaluieren. Gemeinsam mit den KlientInnen, ÜbersetzerInnen und den KollegInnen und auf ihre Wirksamkeit überprüfen.

„We love parents coaching“ sagten zwei afghanische Mütter beim Hinausgehen aus der kleinen Clinic zu Michi und mir, ich hab´ mir diesen Satz, neben vielen anderen, im Herzen mitgenommen.

Athen

Die Planung, dieses Projekt auch in Athen zu etablieren, läuft. Die Schweizer Organisation ONE HAPPY FAMILY www.ohf-lesvos.org/ hat ein Haus in Athen am Victoria Square für medizinische Erstversorgung, Rechtsberatung, Hilfe bei Wohn - und Arbeitssuche eröffnet. Auf diesem Platz treffen Flüchtende meist zuerst ein wenn sie von den Inseln kommen. OHF war schon auf Lesbos ein überaus großzügiger Quartiergeber für viele Initiativen, wir hoffen auch diesmal wieder auf gute Zusammenarbeit.

Auch die ARTGALLERY flüchtender Menschen in Mytelini www.waveofhope.org/ hat hier einen weiteren Raum gefunden.

Am 15. Oktober 2022 wird eine Ausstellung der Galerie mit Bildern aus Lesbos und Athen im Rathaus von Bruck an der Leitha stattfinden. Alle Bilder im Bericht sind in der Galerie entstanden.

Spendenbericht

  • Bis Mai 2022 haben wir zur Apotheke im Lager Kara Tepe 2 mit Medikamenten und Heilmitteln in der monatlichen Höhe von Euro 1.400,-- beigetragen, dankenswerter Weise hat „Apotheker ohne Grenzen“ dies nun übernommen.
  • Das Honorar für 2 ÜbersetzerInnen für die Mental Health Clinic in der Höhe von je Euro 400,-- monatlich werden bis Mai 2023 fortgesetzt.
  • Für das Mutter/Kindhaus in Mytilini haben wir bis Mai 2023 die monatliche Miete in der Höhe von Euro 400,-- übernommen.
  • Für die Gallery in Mytilini haben wir die Einmalzahlung von Euro 600,-- für 3 Hochleistungslampen geleistet, die für gerade begonnene digitale Arbeitsprojekte für flüchtende Menschen benötigt wurden. Monatlich werden je Euro 100,-- für LehrerInnen, Materialien und Benzin für Transportkosten beigesteuert, ebenfalls bis Mai 2023.
  • Für das Arbeits- und Ausbildungsprojekt im Restaurant NAN in Mytilini sind Euro 6.000,-- für ein Ausbildungsjahr als Zuschuss budgetiert, Vertrag in Arbeit.
  • Für alle anderen Projekte bestehen aufrechte Verträge mit genauen Arbeitsübereinkünften und Dauer der Donation.
  • Wie immer sind wir auch vor Ort um Katastropheneinsatzhilfe zu leisten. Wohnungssuchhilfe, Kleidung und Lebensmittel aufbringen. Rechtsberatungen bezahlen. (Euro 945,-- direkte Geldzuwendungen in besonderen Notfällen, ganz so, wie es Helga Longin uns tatkräftig vorgelebt hat.

Insgesamt waren 7 Personen durch „Unser Bruck hilft“ 23 Wochen auf Lesbos im Flüchtlingseinsatzeinsatz (Herbst 2020 bis April 2022) gemeinsam, alleine, manche mehrfach.

Während unseres Aufenthaltes war Helgas 1. Todestag, wir haben ihrer gedacht und uns FreundInnen gegenseitig durch den Tag geholfen. 

 

Lesbos